In Deutschland war es gleich ein Hit, Die Vermessung der Welt von Daniel Kehlmann. Am 16. Februar war er in Amsterdam um die niederländische ?oebersetzung in Empfang zu nehmen. Im Goethe-Institut zog der drei?”Yigjährige Schriftsteller aus Wien den vollen Saal mühelos in seinen Bann.
Es sei sein Gau?”Y und es sei sein Humboldt, betont Daniel Kehlmann, nachdem er eine halbe Stunde vorgelesen hat. Er hat etwas unverschämt Mutiges gemacht, er hat die Lebensläufe der beiden berühmten Wissenschaftler aus der deutschen Klassik nach Belieben herangezogen und sie zu den Protagonisten seines vierten Romans gemacht.
Sie sind seine Helden und haben gleichzeitig für ihn eine unfreiwillige Komik. Carl Friedrich Gau?”Y (1777-1855), das Wunderkind des mathematischen Verständnisses, habe ihn seit der Schulzeit fasziniert. Und Jahre später, als er in Süd-Amerika war, habe er Alexander von Humboldt (1769-1859) gelesen, der auch dort die Welt vermessen hat.
Zwei Wissenschaftler, zwei kontrastierende Persönlichkeiten. Nach Kehlmann: Humboldt, der Empiriker, der von einem »Vermessungswahn« getrieben worden sei, der ein Meister des Ignorierens gewesen sei, mit einer verschlossenen Homosexualität, einer der überall gewesen sei, aber dabei gleichzeitig sehr gebunden gewesen sei, verschränkt, zerebral, obsessiv; Gau?”Y, der blitzschnell zu denken vermocht und geniale Einfälle gehabt habe, einer der nie von zu Hause weg gewollt habe, aber der frei gewesen sei, ein moderner offener Geist, ein Frauenliebhaber, sinnlich und faul.
Kränkungen
Daniel Kehlmann ist in dem gro?”Yen Saale des Goethe-Instituts wie zu Hause, zwischen der dunklen Täfelung, unter den Kronleuchtern, wo das Publikum nur flüstert und wo man nicht viel Phantasie braucht um sich ins Jahre 1828 zu versetzen, an jenen Tag in Berlin mit dem das Buch anfängt, als Gau?”Y und Humboldt sich zum ersten Mal während einer wissenschaftlichen Konferenz begegneten. Man hätte sich auch vorstellen können, dass Daniel Kehlmann dabei gewesen sei. Er sieht aus wie ein Gymnasiast, wirkt aber gleichzeitig wie ein alter Mann. Wie einer von damals. Es ist als ob auch auf ihn zutrifft, was er über Gau?”Y geschrieben hat: »…er konnte das Gefühl nicht loswerden, da?”Y er jene Wirklichkeit, in die er gehörte, um einen Schritt verfehlt hatte.« Kehlmann studierte Germanistik und Philosophie und die Deutsche Klassik ist seine Zeit. Im späten 18. Jahrhundert konnte man nicht nur noch gláuben, dass alles entdeckt werden würde, man habe auch noch Grúnd dazu gehabt, meint er. Alle großen Kränkungen dieses Glaubens hätten damals noch in der Zukunft gelegen: die Psychoanalyse, die Relativitätstheorie, die Quantenphysik. Jetzt sei selbst Kausalität nicht immer sicher, sagt Kehlmann, und seine Stimme verrät, dass er das àuch bedauert.
Er habe viel recherchiert über das Alltagsleben um 1800, vor allem Romane aus der Zeit hätten ihm genützt. Und obwohl er so zeitgemäß wie möglich geschrieben habe, bei ihm erfahre der Leser nicht, wie es wirklich gewesen sei. Er habe auch keine Biographie von Gauß und Humboldt geschrieben. Grundsätzlich sei sein Roman eine Auseinandersetzung mit der deutschen Klassik.
Humoristisch
Es ist bedeutungsvoll wie die Wissenschaftler auf Kehlmanns Roman reagiert haben. In einem Interview in de Volkskrant vom 10. Februar erzählte Kehlmann: »Es gibt einen großen Unterschied zwischen Gauß-Anhängern und den Verehrern von von Humboldt. Ich habe festgestellt, dass Mathematiker in ihren Reaktionen antipathetisch und humoristisch sind. Sie mögen es nicht jemanden als Held darzustellen. Ein Mathematiker hat mir geschrieben, dass es keinen Gauß mehr gebe, seit der Mann mit diesem Name gestorben ist. Es gebe ausschließlich noch Modelle (…) Aber sobald es um Alexander von Humboldt geht, wendet sich das Blatt. Dann herrscht die Entrüstung vor.«
Er sei auch wegen seiner wissenschaftstheoretischen Auffassungen angegriffen worden, erzählt Kehlmann seinem Publikum im Goethe-Institut, weil er dazu tendiere an den Fortschritt im absoluten Sinn zu glauben. Er sei sich nicht sicher, sagt er, mal ja, mal nein. Natürlich gebe es ungeheure Rückschläge und Verluste, aber auch eine Verbesserung. Aber dann denke er wieder: es sei alles eine Konstruktion, wir könnten uns auf gar nichts verlassen. Er wísse es nicht. Aber man sieht ihm an, dass er lieber was anderes gesagt hätte.
Daniel Kehlmann, Die Vermessung der Welt, Rowolt Verlag, 2005, 302 Seiten, ¤26,90, ISBN 3 498 03528 2